Ein aktuelles Problem des Schadensrechts ist die bislang nicht geklärte höchstrichterliche Frage, ob in Folge von Verkehrsunfällen bei Vorsteuerabzugsberechtigten von einer merkantilen Wertminderung ein rechnerischer Betrag in Höhe der zum Zeitpunkt des Unfall geltenden Mehrwertsteuer im Wege des Vorteilsausgleiches abzuziehen ist.

Diese Frage ist zu bejahen, wird aber von vielen Rechtskundigen falsch verstanden.

Ein erstes Missverständnis liegt darin, den Abzug mit dem Argument ausschließen zu wollen, eine Wertminderung sei umsatzsteuerneutral. Dies ist richtig, weil es bei einem Verkehrsunfall nicht um einen steuerbaren Leistungsaustausch geht, spielt aber keine Rolle.

Die merkantile Wertminderung soll einen wirtschaftlichen Schaden ausgleichen, der sich aus der verlorenen Unfallfreiheit des Fahrzeugs ergibt. Man überlegt also, um wieviel sich der Marktwert (=Bruttogesamtwert) des Fahrzeugs trotz nachfolgender Reparatur hierdurch gemindert hat. Maßgebend für die in der Regel sachverständige Beurteilung dieses Minderwerts ist der Wert des Fahrzeugs vor dem Unfall. Verkauft der Vorsteuerabzugsberechtigte das Fahrzeug zu dem geminderten Wert des Unfallfahrzeugs, erzielt er im Normalfalle nur einen Kaufpreis, der um eben den Betrag der ermittelten Wertminderung gemindert ist. Dieser Kaufpreis ist als Betriebseinnahme umsatzsteuerpflichtig. Diese Umsatzsteuer muss der Vorsteuerabzugsberechtigte an das Finanzamt abführen. Hätte er das Fahrzeug zum gleichen Zeitpunkt – den Unfall hinweggedacht – verkauft, hätte das Fahrzeug zum vollen Wert (ohne die nicht eingetretene merkantile Wertminderung) verkaufen können. In diesem Fall hätte er aber auf den Nettokaufpreis die volle Umsatzsteuer ausweisen und an das Finanzamt abführen müssen. Er erlangt also beide Fälle vergleichend einen Vorteil in Höhe der anfallenden Mehrwertsteuer 19 % aus dem Betrag der merkantilen Wertminderung.

Zu abstrakt? Machen wir ein Beispiel:

Brutto-Wert des Fahrzeugs (vor Unfall 11.000.- EUR)
Merkantile Wertminderung (nicht steuerbar) 1.000.- EUR
Brutto-Wert des Fahrzeugs (nach Unfall und Reparatur „nur“ 10.000.- EUR)

Verkauf des unbeschädigten Fahrzeugs:

Brutto-Verkaufspreis  11.000,00 EUR
Hierin enthalten 19% Mehrwertsteuer: 1.756,30 EUR
Verbleiben dem Verkäufer:
11.000,00 ./. 1.756,30 EUR = 9.243,70 EUR

Verkauf des beschädigten Fahrzeugs:

Brutto-Verkaufspreis 10.000,00 EUR (nach Abzug der Wertminderung)
Hierin enthalten 19% Mehrwertsteuer: 1.596,64 EUR
Verbleiben dem Verkäufer:
1.000.- EUR (Wertminderung)  + 10.000,00 EUR ./. 1.596,64 EUR = 9.403,36 EUR

Die Differenz zwischen beiden Positionen entspricht 159,66 EUR und damit der vom Verkäufer wegen des Unfalls nicht abzuführenden Umsatzsteuer aus dem Betrag der Wertminderung.

Hat ein Schadensereignis nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile mit sich gebracht, gilt seit jeher der Grundsatz des Vorteilsausgleichs. Das Schadensrecht soll Schäden ausgleichen, nicht aber den Geschädigten besser stellen, als er stünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Geschädigte soll also nichts am Schadensfall verdienen. Dieser Grundsatz gilt allumfassend und unabhängig von der Art der Schadensabrechnung (fiktiv oder konkret). Daher ist die normative Korrektur des Schadens im beschriebenen Fall geboten.

Viele Gerichte bemühen zwar zur Ablehnung des Abzugs oft einen Vergleich zwischen § 249 BGB und 251 BGB. Dieser ist schon dogmatisch verfehlt. Mehrwertsteuer ist zwar im Rahmen des § 249 BGB nur dann zu ersetzen, wenn sie tatsächlich anfällt, eine entsprechende Vorschrift fehlt bei 251 BGB. Hier wird aber keine Mehrwertsteuer aus der Wertminderung abgezogen, diese ist und bleibt nicht steuerbar, sondern es geht um eine Korrektur des dem Vorsteuerabzugsberechtigen wegen des Abzugs der Wertminderung aus dem Unfallereignis im Verkaufsfalle entstehenden steuerlichen Vorteils.

Freilich kann man sich die Frage stellen, ob man überhaupt eine nicht sicher eintretende, also rein fiktiv in Betracht kommende Wertminderung sofort in Geld ersetzen muss. Wird das Fahrzeug z.B. bis zur Schrottreife gefahren und kommt es nie zu einem Verkauf. Üblicherweise wäre in einem solchen Fall eine bloße Feststellung des Ersatzes eines eventuellen zukünftigen Schadens üblich. 

Entscheidet man sich aber mit der h.M. für eine unmittelbare Erstattungsfähigkeit des merkantilen Minderwerts zum Zeitpunkt des Unfalls, ist kein Raum für weitere Gedankenspiele, ob ein Verkauf jemals stattfinden wird, welcher Mehrwertsteuersatz zu diesem Zeitpunkt gelten würde, dass Privatleute die Wertminderung in jedem Falle im vollen Umfange behalten dürfen (was logisch ist, da sie ja auch keine steuerlichen Vorteile aus dem Verkauf unter Abzug des Minderwerts ziehen können), usw. Bei dieser fiktiven Betrachtungsweise ist sowohl für den Nachteil als auch für den Vorteil auf den Zeitpunkt des Schadensereignisses abzustellen. Welcher Nachteil entstand dem Geschädigten durch das Schadensereignis, welcher Vorteil entstünde bei einem Verkauf eine logische Sekunde nach dem Ereignis. Der steuerliche Vorteil ist daher mit dem zum Zeitpunkt des Unfalls geltenden Umsatzsteuersatz zu berücksichtigen.

Wie man hört, hängt derzeit ein Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof an, das diese Frage klären soll. Dies ist angesichts der zwar recht phantasievollen, aber uneinheitlichen und dogmatisch eher wirren Erklärungsansätze der deutschen Instanzgerichte wünschenswert.